BGH, Urteil vom 22.02.2018, VII ZR 46/17
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat seine bisherige Rechtsprechung zu den sog. „fiktiven Mangelbeseitigungskosten“ aufgegeben. Zu Beginn seiner Entscheidung vom 22.02.2018 sind die wesentlichen Grundsätze zur Schadensbemessung bei Baumängeln in Leitsätzen wie folgt zusammen gefasst:
Schadensbemessung für den Fall, dass der Besteller den Mangel nicht beseitigen lässt:
- Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs gegen den Unternehmer seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung)
- Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann den Schaden in der Weise bemessen, dass er „im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz“ zwischen dem Wert des bestellten Werks ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die (mangelbehaftete) Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.
- Der Schaden kann auch geschätzt werden, in dem die ursprünglich für das Werk vereinbarte Vergütung um den Minderwert des Werks wegen des nicht beseitigten Mangels gekürzt wird. Maßstab soll „die durch den Mangel des Werks erfolgte Störung des Äquivalenzverhältnisses“ sein.
Schadensbemessung bei Mangelbeseitigung:
- Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel beseitigen lässt, kann die von ihm tatsächlich aufgewandten Mängelbeseitigungskosten als Schaden ersetzt verlangen. Wenn der geschädigte Besteller nicht in Vorleistung treten will, kann er vor Begleichung der Kosten von dem Unternehmer Befreiung von den zu Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
- Darüber hinaus besteht für den Besteller weiterhin die Möglichkeit, Vorschuss zu fordern, wenn er den Mangel beseitigen will.
Schadensbemessung gegenüber dem planenden und überwachenden Architekten:
- Auch im Verhältnis zum Architekten scheidet hinsichtlich der von ihm zu vertretenden Planungs- oder Überwachungsfehler, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, ein Zahlungsanspruch in Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten betreffend das Bauwerk aus.
- Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks nicht beseitigen, kann er seinen Schaden gegenüber dem Architekten im Wege einer Vermögensbilanz nach dem Minderwert des Bauwerks im Vergleich zu dem hypothetischen Wert des Bauwerks bei mangelfreier Architektenleistung bemessen oder gegebenfalls – bei Veräußerung des Objekts – nach dem konkreten Mindererlös.
- „Hat der durch die mangelhafte Architektenleistung verursachte Mangel des Bauwerks zur Folge, dass eine Störung des Äquivalenzverhältnisses des Bauvertrags vorliegt, kann der Besteller stattdessen seinen Schaden auch in der Weise bemessen, dass er ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werks des Bauunternehmers ermittelt.“ [Das „Äquivalenzverhältnis“ beschreibt das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung.]
- Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks beseitigen, sind die von ihm tatsächlich aufgewandten Kosten als Schaden vom Architekten zu ersetzen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
- Darüber hinaus hat der Besteller wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, einen Schadensersatzanspruch (gemäß § 634 Nr. 4, § 280 BGB) auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags gegen den Architekten.
Abkehr von der bislang praktizierten Rechtsprechung zur Verhinderung einer Überkompensation
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs trifft damit ein Grundsatzurteil und kehrt sich von der bislang praktizierten Rechtsprechung zu den sog. fiktiven Mängelbeseitigungskosten ab. Der Mangel sei ein Leistungsdefizit, da das Bauwerk hinter der vertraglich geschuldeten Leistung zurückbleibe. Tätige der Besteller keine Aufwendungen zur Mangelbeseitigung, so könnten nicht einfach die fiktiv ermittelten Mängelbeseitigungskosten als Vermögensschaden angesehen werden. Eine Schadensbemessung nach fiktiven Maßstäben könne das Leistungsdefizit bei wertender Betrachtung nicht zutreffend abbilden. Vielmehr führe eine fiktive Schadensberechnung häufig zu einer Überkompensation und damit zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Bereicherung des Bestellers.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die nun aufgestellten Grundsätze zur Schadensbemessung praktikabel sind. In vielen Fällen dürfte der tatsächliche Wert des Bauwerks mit Mangel nicht ohne sachverständige Expertise bestimmbar sein.
Der BGH stellte zudem mit Urteil vom 27.09.2018, VII ZR 45/17, klar, dass diese neue Rechtsprechung auf vor dem 01.01.2002 geschlossene Verträge keine Anwendung findet.
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