Kann eine unterlassene Behandlung kunstfehlerhaft sein, wenn der Patient die Behandlung zuvor verweigert hat?

BGH, Beschluss vom 15.05.2018, VI ZR 287/17

Eigentlich gilt der Grundsatz, dass Ärzten kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden kann, wenn der Patient die medizinisch gebotene Maßnahme abgelehnt hat.

Ein Behandlungsfehler kann zu verneinen sein, wenn der Patient die medizinisch gebotene Behandlung abgelehnt hat

Ein Haftungsausschluss aufgrund Behandlungsverweigerung setzt jedoch voraus, dass der Patient im Vorfeld über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Behandlung im Rahmen einer Sicherungsaufklärung vollständig und widerspruchsfrei informiert worden ist und er die Informationen auch verstanden hat (vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2009, AZ: VI ZR 157/08).

Die Behandlungsverweigerung ist aber nur von Relevanz, wenn der Patient über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Behandlung vollständig und widerspruchsfrei informiert worden ist und er die Informationen verstanden hat

Dass dies im Einzelfall problematisch sein kann, zeigt der aktuelle Beschluss des BGH vom 15.05.2018, AZ: VI ZR 287/17.

In dem zu entscheidenden Fall hatte sich der damals 10-jährige Kläger eine Fraktur des linken Schien- und Wadenbeins zugezogen. Nach stationärer Aufnahme und Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen veranlasste der behandelnde Arzt eine Ruhigstellung des Beins mittels einer Oberschenkelgipsschiene. 3 Tage später führte ein diensthabender Assistenzarzt mit der Mutter des Klägers ein Gespräch, in dem er eine operative Versorgung des Bruchs empfahl. Die Mutter des Klägers lehnte einen operativen Eingriff ab. Es erfolgte daher eine geschlossene Reposition mit Anlage eines Oberschenkelgipsverbandes. Der Kläger wurde einen Tag später entlassen. Nach zwei Wiedervorstellungen im beklagten Krankenhaus begab sich der Kläger wegen anhaltender Schmerzen in ein anderes Krankenhaus. Dort wurde nach einer röntgenologischen Untersuchung eine Verschiebung des Schienbeins um Schaftbreite sowie eine Zunahme der Schaftverkürzung festgestellt. Beides wurde sodann nach Verlegung in eine Kinderklinik operativ versorgt. Der Kläger leidet unter Bewegungseinschränkungen und Schmerzen.

Der Kläger macht geltend, dass seine Mutter die operative Versorgung der Fraktur nur deshalb abgelehnt habe, weil der Chefarzt ihr an einem der Tage vor dem Gespräch mit dem Assistenzarzt mitgeteilt habe, dass die Brüche konservativ behandelt werden müssten. Sie habe dem Chefarzt mehr vertraut als dem Assistenzarzt, der ihr gesagt habe, dass die Brüche operativ versorgt werden sollten.

Widersprüchliche Behandlungsempfehlungen vom Chefarzt einerseits und vom Assistenzarzt andererseits sind beachtlich

Der VI. Zivilsenat verweist auf die widersprüchlichen Angaben des Chefarztes (konservative Behandlung) sowie des Assistenzarztes (operative Versorgung) und stellt klar, dass auf Grundlage von widersprüchlichen medizinischen Informationen die operative Behandlung nicht mit der Folge verweigert werden könne, dass ein in der vorgeschlagen Wahl liegender Behandlungsfehler auszuschließen sei.

Der Rechtsstreit wurde daher an die Berufungsinstanz, das Oberlandesgericht Koblenz, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

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