SG Hamburg, Urteil vom 06.08.2018, S 21 KR 731/15
Die 21. Kammer des Sozialgerichts Hamburg hat eine gesetzliche Krankenversicherung verurteilt, meinem Mandanten mit inkompletter Querschnittslähmung einen Balance-Steh-Trainer als medizinisches Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.
Die Voraussetzungen des Anspruchs eines gesetzlich Versicherten auf Versorgung mit einem medizinischen Hilfsmittel richten sich nach §§ 2, 27, 33 SGB V
Die beklagte Krankenversicherung hatte die Versorgung mit dem medizinischen Hilfsmittel stets mit dem Argument abgelehnt, dass die Wirksamkeit der Balancefunktion des Balance-Trainers bisher nicht durch Studien nachgewiesen sei. Dieser Einwand, dass keine sogenannten „evidenzbasierten“ Wirksamkeitsnachweise, also Studien, zur Funktion des begehrten medizinischen Hilfsmittels vorliegen, wird regelmäßig auf Seiten der Krankenversicherung genutzt. Das Sozialgericht Hamburg erteilte diesem „Argument“ eine Absage:
Denn ein Anspruch besteht, wenn die Versorgung im konkreten Einzelfall erforderlich ist. Dies ist anzunehmen, wenn die beantragte Versorgung für den erstrebten Behandlungserfolg (1) geeignet, (2) notwendig und (3) wirtschaftlich ist.
(1) Ein Hilfsmittel ist geeignet, wenn es seine Funktionstauglichkeit und seinen medizinischen Nutzen unter Beweis gestellt hat. Das wird nach Auffassung des Sozialgerichts Hamburg immer dann indiziert, wenn das Gerät in das Hilfsmittelverzeichnis gemäß § 139 SGB V aufgenommen ist. Eine Aufnahme erfolge nämlich erst dann, wenn der Hersteller die Funktionstauglichkeit, die Sicherheit und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen habe.
(2) Inwieweit die Versorgung mit dem medizinischen Hilfsmittel notwendig ist, ist im konkreten Einzelfall darzulegen. In der hiesigen Entscheidung sah das Gericht es auf Grundlage der Feststellungen der behandelnden Ärzte sowie des vom Gericht bestellten medizinischen Sachverständigen als erwiesen an, dass durch den Einsatz des Balance-Trainers die Auswirkungen der Behinderung meines Mandanten und auch deren Folgen gemindert werden. Das Gericht stellte hierbei ausdrücklich fest, dass es bei der Frage der Notwendigkeit nicht darauf ankomme, ob für das konkrete Krankheitsbild Studien zum medizinischen Nutzen des Hilfsmittels vorliegen.
Bei der Frage, ob ein medizinisches Hilfsmittel im konkreten Fall medizinisch notwendig ist, kommt es nicht darauf an, ob für das zu versorgende Krankheitsbild Studien zum medizinischen Nutzen vorliegen
(3) Die begehrte Versorgung ist wirtschaftlich, wenn keine gleichwertigen günstigeren Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Bei dem begehrten Balance-Trainer stellten weder ein starrer Steh-Trainer noch Maßnahmen der Ergo- und Physiotherapie gleichwertige Versorgungsalternativen mit vergleichbaren gesundheitlichen Verbesserungen dar.
Betroffene gesetzlich Versicherte, die auf die Versorgung mit kostspieligen medizinischen Hilfsmitteln angewiesen sind, sollten sich hiernach nicht so schnell entmutigen lassen. Soweit die behandelnden Ärzte mit stichhaltigen Gründen die konkrete Versorgung für medizinisch notwendig halten und dieser Nachweis auch im Gerichtsverfahren gelingen kann, bewähren sich Hartnäckigkeit und ein „langer Atem“ in der Auseinandersetzung mit der Krankenkasse.
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